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Saale-Radwanderweg von Hof nach Halle




Zwei Wahl-Hessen auf Bergtour mit einigen Stunden Sichtkontakt zum Fluß

Den vielzitierten sportlichen Aspekt dieser schönen Radtour lassen wir mal beiseite: man muß sich einfach Zeit fürs Sehen nehmen. Sei es nun eine minutenlange Steilabfahrt auf Schotterstrecken - Rasen ohne wachen Blick wird lebensgefährlich - oder die unzähligen herrlichen Burgen und Schlösser links und rechts auf der Strecke - sehen, anhalten und reingehen - denn auf Muskelzuwachs dumpf Kilometer zu machen - dafür gibts Heimtrainer!

20. Juni
Hof

Wir schaffen es, trotz überaltertem Zustand (29, kinderlos) in einer bayrischen Juhe zu übernachten. Aber nur, weil sie noch vorsaisonhaft leer ist an diesem Sonntagabend. HO-Autos ignorieren uns kaltschnäuzig, als wir abends noch eine gepäckfreie Spritztour zur Innenstadt machen, um uns den morgigen Tourstart und die vielbeschriebenen blauen Schilder anzuschauen. Sanfte Abendstimmung über der Fussgängerzone und internationales Treiben auf dem alten Pflaster hinter der Lorenz-Kirche.

21. Juni
Weil der Zivi nicht den ganzen Saal putzen will, rücken wir zu einem drahtigen Augsburger, für den der Saale-Radwanderweg nur eine Etappe auf seiner Tour nach Rügen ist und wenig später gehts los mit der ganzen Energie des Neuanfangs den blauen Schildern nach und an einer Pferdekoppel am Stadtrand die erste verkehrte Steigung hoch. Nach Unterkotzau und Brunnenthal sind wir endlich autofrei an der Saale unterwegs.
Rudolphstein
Der trübe Himmel drängt zur Weiterfahrt und die ersten 12% Steigung schaffen wir auf regennasser Straße, die unter den Sonnenstrahlen dampft. Der schiefergedeckte Gutshof liegt hinter uns.
Blankenstein
Am D-Discounter hinter der großen Papierfabrik treffen wir die beiden Ostfriesen wieder und ein paar schlammverschmierte Leichtgepäck-Radler, die auf dem Rennsteig unterwegs sind. Nach einer haarnadelkurvigen Gefällstrecke stoßen wir auf das erste thüringische Vesperhäuschen und während es nieselt, beobachten wir einen Schwertransporter, der sich mit orangem Blinklicht eben jene haarnadelkurvige Strecke hochquält. Wir freuen uns wieder an auto- und lastwagenfreien Sandwegen, der breiter werdenden Saale (jede Menge Reiher auf Spähposten) und den fröhlich bunten Blüten in Wald und Wiese. Locker nehmen wir die letzte Steigung nach
Saalburg.
Während der Märchenwald penetrant ausgeschildert ist, muß man nach dem Campingplatz die Einheimischen fragen. Eine Frau empfiehlt uns Saalburg-Kloster am Bleiloch-Stausee und dort finden wir thüringisches Freiluft-Wohnen im Datscha-Stil vor: penibel aufgehübschte Schuppen, fein dekoriert mit Gärtchen, dichten Hecken oder feriengestreiften Plastikplanen. Dazu gibt es Strand, renovierte, beheizte (!) Duschen und reichlich Wassersport. Im Gasthof Saaleblick genießen wir Spargelspezialitäten.

22. Juni
Leider ist die Bleiloch-Talsperre (AG Obere Saale) im Bau und für alles was drüber will gesperrt, so lernt man die Alternative, eine einspurige Saalebrücke kennen, bei der eine Ampel regelt, wer mit darüberfahren dran ist.
Irgendwie sind wir so an der "Steinerne Rose" (Diabas) vorbeigefahren, aber noch kann man schlecht abschätzen, wieviel Kraft und Zeit man für die Höhen und Tiefen der geplanten Tagesetappe braucht. Also flott nach Burgk
Schloß Burgk lohnt den Besuch. Für wenig Eintritt lernt man den höchsten Küchenschornstein Deutschlands kennen, sieht Zeichnungen weltbekannter Künstler aus der Sammlung der Reußen; die original Silbermann-Orgel barockt in der Kapelle und wer will, kann Konzerttermine anfordern (03663) 40 01 19.
Der Regen erwischt uns bei Ziegenrück (Wasserkraftmuseum), als wir auf erholsamen Sandwegen jede Saaleschleife mitmachen und danach kommen fette 10% mit Autos und Nieselregen auf Teer hoch nach Liebschütz. Auskeuchen im Sonnenschein - wieder an der beliebten Thüringer Vesperhütte. Als es nach einer genialen Abfahrt zur Ottermühle im sonnendurchfluteten Blätterwald schon wieder bös nach oben geht steigt auch der Frust über die Wegführung: muß das sein?! Unten sehen wir die zum See aufgestaute Saale, aber erst nach einer ewigen Strampelei an den abwechslungsreichen Uferschleifen entlang erreichen wir die Hohenwarte-Talsperre daselbst. Bis Saalfeld wollen wir uns nicht mehr quälen, doch die Strecke zum nahen Campingplatz "Alter" juckelt nochmal 12% nach oben !!!>:-(will da einer sein Grundstück am Ufer nicht aufgeben?!). Aber der Saale-Radwanderweg war bisher sowieso eine Thüringer-Wald-und-Berg-Tour mit Blick auf das Saaletal, also warum nicht n o c h eine rasante Abfahrt zum Schlafplatz am Ufer? Das leckere Essen im Restaurant Roter Milan hat den Abend gerettet!
Und die morgendlichen Nebel, die sich aus der spiegelglatten Wasserfläche drehen, bezaubern den Frühaufsteher.

23. Juni
Nach Saalfeld z i e h t es sich wirklich! Eine Mutti beschreibt uns eine baustellen-zerwühlte Straße nett als "Fahrradschiebeweg" und wir schnaufen einige Zeit weiter auf grünen Höhen und sehen unten spöttisch die Bundesstraße blitzen: Autos fahren direkter! Leider irrt auch unser Reiseführer; die "sanfte Abfahrt" nach Saalfeld entpuppt sich als langwierige Steigung, weil zuerst die Stollwerck-Schokoladenfabrik umrundet werden muss. Oder haben wir uns mal wieder verfahren?
Das Castell "Hoher Schwarm" hat uns nicht so neugierig gemacht, denn in der Innenstadt laesst sich mehr entdecken: das spätgotische Rathaus mit Renaisance-Elementen renoviert wie aus dem Ei gepellt, die Hofapotheke (1180), und in St. Johannis, einer Hallenkirche, erklären schön geschriebene Tafeln das Wichtigste dem interessierten Besucher. Schieferbergwerk, Alaungewinnung, und die Feengrotten liegen für dieses Mal zu weit abseits.
Schluß mit der Idylle! Wir flitzen über frisch geteerte Straßen, daß einem die Schuhsohlen glühen und schuckern immer der Nase nach durch Baustellen im Industriegebiet. Doch vor Rudolstadt leiten uns blaue Pfeile wieder durch Schrebergärten und Sportanlagen. Wenn man nicht aufpasst, ist man am Zentrum vorbei, denn die blauen Pfeile scheren sich nicht groß um Sehenswürdigkeiten; die muss man schon auf eigene Faust ansteuern. Auch die Rudolstädter Touri-Info liegt nicht exponiert, wir finden sie aber doch, werden freundlich beraten, leider gibt es weder JuHe (Kahla hat geschlossen) noch Camping. So nehmen wir die empfohlene Privatunterkunft und schaffen es noch vor Kassenschluß auf die mächtige Schloßanlage Heidecksburg: Barockprunk, wir kommen! Ebenfalls sehenswert ist die Stadtpfarrkirche "St. Andreas" mit dem riesigen an die Wand gemalten Stammbaum der Schwarzburger Grafen. Im "Handwerkerhof" finden wir neben bereits geschlossenen Geschäften noch ein deftiges Restaurant, wo der Zunftkoch am Herd steht, und das schon 1914 errichtete Freilichtmuseum mit Bauernhäusern mitten im Heinrich-Heine-Park lohnt auch eine Blick nach Ladenschluss. Schillerhaus und Thüringer Landestheater vielleicht ein ander Mal.

24. Juni
Eigentlich soll`s doch Richtung
Kahla (Porzellan, Dohlstein, Leuchtenburg)
zur Orlasenke runter gehen. Aber der blaue Pfeil tut alles, um uns von der stark befahrenen Bundesstrasse in die anmutige Hügellandschaft zu schicken. Leider trifft man auf diesem Abschnitt keinen mobilen Bäcker mehr, der uns auf den ersten Tagen mehrmals verführerisch über den Weg gekommen ist. Die Beschilderung wird flau; in Niederkrossen lassen wir uns von Einheimischen lieber untenrum über den Wiesenweg schicken, als uns vom blauen Pfeil schon wieder den Berg hochscheuchen zu lassen.
Nach
Jena
fahren wir erst auf Radwegen im Industriegebiet, sehen Zeiss&Jena-Glas und hoppeln später gen Innenstadt auf den beliebten gelöcherten Steinen, mit denen Jenas Straßenbahnschienen eingefaßt sind (ra-damm, ra-damm) Die Touri-Info ist gut beschildert und seit 18.Juni 1999 gibt es einen kleinen Campingplatz "Unter dem Jenzig". Im Bauwagen am Ostbad (incl. Schwimmengehen!) checken wir ein. Wir haben noch Zeit fürs Stadtmuseum "Göhre": von frühen Gräberfunden bis Carl Zeiss alles unter einem Dach! Das Romantiker-Haus wird renoviert, aber in St.Michael, einer der größten thüringischen gotischen Hallenkirchen, können wir uns vor erzählfreudigen Jenaern vom Kirchenverein kaum retten. Auch hier ist das Rathaus am Markt hübsch renoviert; nur der asbestverseuchte Ex-Zeiss-turm (Uni-Turm?) von 1972 steht klotzig in der Landschaft, aber zu seinen Füßen laufen schon die Vorbereitungen für sommerliche Open Air-Konzerte. Die Friedrich Schiller-Uni, wo Karl Marx promovierte aber heute touristisch mehr Wert auf die Klassiker gelegt wird, bietet sogar Mozarts ZAIDE als Freiluft-Aufführung, doch wir ziehen es vor, ein Happen zu essen. Wer sich für zugewucherte romantische Friedhöfe begeistern kann, sollte die Pflasterstraße Am Heinrichsberg nordwestlich vom Zentrum zum Johannis-Friedhof laufen. Planetarium, die neue Einkaufsmeile Goethe-Galerie, Dominikanerkloster und vieles mehr wären auch noch zu besichtigen, aber vielleicht ein ander Mal. Die Studentenstadt Jena ist spannend!


25. Juni
Das Erlkönig-Denkmal liegt auf dem schönen, ebenen Wiesenweg nach Kunitz. Auch für die drei stolz auf dem Felsen sitzenden Dorndorfer Schlösser haben wir nur ein Fotopäuschen übrig. Es wird heiß und in
Camburg
wird der Supermarkt auf der Suche nach Apfelschorle gestürmt. Nun erfahren wir weites Saaletal im Thüringer Becken, auf dem Ilm-Radwanderweg könnte man sich bis Weimar durchschlagen doch in
Bad Kösen
gibts was ganz Besonderes zu besichtigen. Sauber angelegte Pflastergäßchen führen hoch zum Gradierwerk. Die 320 m lange Sole-Verdunstungsanlage wurde ab 1859 zur Freiluft-Inhalation umfunktioniert. Mit weißem Stoffmantel ausgestattet wandelt man an verkrusteten Schwarzdornbüschen auf Holzstegen entlang und wundert sich über die Kraft der Saale, die quer durch die Ortschaft 138 m weit mit einem in Europa einmaligen Stangenkonstruktion hoch auf den Berg zu den Pumpen übertragen wird.
Weiter zur Unstrut-Mündung und endlich leuchten sortiert grüne Weinstöcke von den Höhen. Im Zisterzienserkloster "Zur Pforta", der ehemalige fürstliche Landesschule (Nietzsche), heute Internat ab Stufe 9 mit Naturwissenschaften, Sprach- und Musik-Zug legen wir einen kurzen Stop ein.
Naumburg
hat auch einen Campingplatz; diesmal gerammelt voll, weil Kirschfest in der Stadt ist. Den Dom St.Peter und Paul erleben wir gegen 17:00 h mit einer hervorragenden Führung und hören erstmals vom Uta-Kult. Warum der private Stiftungsverein Innenfotografien nur gegen die "Spende" von DM 10,- erlaubt, konnte uns die Dame an der Kasse auch nicht so recht begründen. Immerhin feiern evangelische Christen Gottesdienste in diesem "Museum in Kirchlicher Gestalt". Die Altstadt dröhnt: Spielmannszüge, Open Air-Bühne; jede Menge Volk zum Teil mittelaterlich gewandet und die leibhaftige Uta mit blitzblauen Augen wandeln zum Sammelplatz des Umzugs. Ganz günstig auch das Essen im "Köpi" gleich hinter dem Ratskeller: die Bedienung kann es vom Ratskellerkoch aus dem Küchenfenster holen und wir speisen draußen im lauschigen Gäßchen.

26. Juni
Naumburg ist zu touristisch, um es gleich wieder zu verlassen. Die samstägliche Stadtführung nach einem gemütlichen Frühstück am Dom enthüllt weitere Eigenheiten der weitgehend durchrenovierten Stadt. Die Trennung zwischen Domfreiheit und Bürgerstadt, die ehemaligen Handelsstraßen, die den Bau von enormen Speicherböden auf den schmucken Renaissancebauten förderten und vieles mehr. Irgendwo in der Nähe soll auch die Heimat des Rotkäppchen-Sekts sein, aber das schenken wir uns (lieber direkt ins Glas). Nach den vielzitierten Orchideen haben wir auch nicht geforscht.
Die Tour Richtung Sachsen -Anhalt wird eintöniger, heißer aber auch flacher. Wieder begegnen wir einer Pauschalgruppe, die schon von weitem an ihren einheitlich roten Packtaschen zu erkennen sind. Die Kulturdenkmäler in Weißenfels und Bad Dürrenberg umradeln wir dem blauen Pfeil folgend, um ein paar Stunden im
Merseburg
zu verweilen. Schon wieder landen wir in mittelalterlichem Festtreiben, Würstchen schwitzen genauso wie ihre Käufer und der 1021 geweihte Dom ist ausnahmsweise kostenlos zu besichtigen. Im Herbst kann man die berühmte Ladegast-Orgel auf Konzerten hören. Obwohl weitere Sehenswürdigkeiten Merseburgs dicht an der Saale liegen, wollen wir nicht verweilen, um rechtzeitig vor Türschluß der Jugendeherberge in Halle zu sein. Erst dort erfahren wir von dem grausamen Bombenanschlag auf eine Merseburger Disco.
Doch der Weg nach Halle erfordert auch pfadfinderisches Können. Etliche Kilometer nach einem beeindruckenden Ortschild befindet man sich immer noch im flachen Wiesen und Feldern und lenkt nicht als erster dem blauen Pfeil vertrauensvoll folgend mitten in ein junges Maisfeld! Das Geholper auf den Spuren der Vorgänger endet zwar an dicken Hecken vor einem Fluß, aber: nichts geht mehr. Wir holpern zurück und wählen einen anderen Ackerweg bis wir schließlich den blauen Pfeilen den Vogel zeigen und auf Teerstraßen gen Innenstradt radeln. Wenig später gibts auch einen Radweg; der blaue Pfeil taucht wieder auf (hello again!) und Einheimische weisen uns die Richtung zwischen Wohnsiedlungen, S-Bahn-Überquerung und Parkplätzen. Allmählich führt die Straße abwärts, wüst vernachlässigte Bauten mit jungen Birken in der Dachrinne säumern unseren Weg und erst kurz vor der Innenstadt leuchten einzelne frischrenovierte Häuser in der Abendsonne.
Auch von derJuHe sind wir begeistert: eine prächtige Gründerzeit-Villa mit Parkett im Frühstückszimmer und neu renovierten Duschen. Jungvolk aller Couleur tummelt sich an der riesigen Leinwand des kostenlosen Open Air Kinos auf dem Marktplatz und einige Straßenkneipen laden zu einem gemütlichen Abschluß ein.

27. Juni: Halle
Den Sonntag nutzen wir zu einer romantischen Führung des Vereins Courage e.V. durch Reichardts Garten und lernen so neben dem für uns wenig präsenten Georg Friedrich Händel die Komponistin Louise Reichardt kennen, die auch in Halle aufgewachsen ist. Leider ist die Design-Hochschule Burg Giebichenstein zu, aber einige Exponate sind auch von außen zu sehen. Ein kurzer Nieselregen scheucht uns ins Salzmuseum. Neben der etwas sparsam beschrifteten Daueraustellung gibt eine Fotoschau die Bandbreite eines Sachsen-Anhaltinischen Fotowettbewerbs wieder.
Im Restaurant "Dompfaff" genießen wir köstliches Essen unter Sonnenschirmen und besuchen danach die Franksche Stiftungen, die sich sonntags ohne sachkundige Führung nur mit einer Lageplan-Tafel etwas öd präsentieren. Abends können wir uns zwischen Kabarett, Freiluft-Oper oder -Kino entscheiden.

28. Juni Halle, letzer Tag
Vom romantischen Charme der Ex-Hansestadt war im Krach des montaglichen Baulärms nichts mehr zu ahnen; der Dom präsentierte sich verschlossen, die Moritzburg mit ihrer Kunstsammlung war zu und vor dem EDEKA treffen wir einen redseligen Zeitgenossen, der sich über "die vielen Ausländerläden" beschwert. Nun, das gehört auch in Frankfurt/Main zum Straßenbild und Halle braucht einfach noch Zeit und Geld, um den vielen Wünschen und Forderungen seiner Bürger gerecht werden zu können. Aber man kann sich so leicht von der frischen Tünsche blenden lassen und vor allem als oberflächlich daherkommender Tourist. Deshalb finden wir jedes Engagement, das nicht nur über die HochZeiten der Klassiker die Leute informiert gut, sondern würden uns auch mehr Information über DDR-Zeiten wünschen. Aber dafür braucht es wieder Geld und viel mehr Zeit. Vielleicht eine neue Generation?

Author: Constanze und Wolfram, spranger.schaedler@rhein-main.net



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